Von Andi Gross
Europarat – Das Parlament befasste sich mit dem Fifa-Reformprozess – und der Rolle des Weltverbandspräsidenten.
Der Sport ist bekanntlich die wichtigste Nebensache der Welt; der Fussball die Hauptsache in dieser Nebensache. Den Ball treten weltweit am meisten Menschen. Und noch mehr schauen gerne zu. An den 33 Tagen einer WM sitzen kumuliert 26 Milliarden Menschen irgendwo vor Bildschirmen – fünfmal mehr als bei Olympischen Sommerspielen. Keine Sportart ist universeller. Keine generiert mehr Geld.
So ist der Fussball in den letzten Jahrzehnten zu einem Riesengeschäft geworden. Der grösste Werbeträger für alles, von der Tranksame bis zur Elektronik. Eine immense Geldmaschine, in der viele, auch zwielichtige Figuren, mitverdienen wollen. Da wird nicht nur gespielt und gedribbelt, sondern auch betrogen, geschmiert, bestochen und geschummelt.
Kein Wunder, dass sich seit einiger Zeit auch das am meisten Menschen vertretende
Parlament der Welt, die 320 Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus den 47 Staaten des Europarates mit fast 800 Millionen Bürgerinnen und Bürgern, mit den verschiedenen, vor allem den trüben Seiten dieses Fussballbusiness auseinanderzusetzen begannen. Denn sie dürfen alles näher unter die Lupe nehmen, was Europäerinnen und Europäer beschäftigt. Und so arbeiteten sie Empfehlungen aus, welche Wettbetrug, Spielmanipulationen und Doping verhindern, Korruption abbauen sowie die Organisation des Fussballs, die Vergabe der WM-Spielorte ebenso wie den Umgang mit den entsprechenden riesigen Gewinnen in ordentliche Bahnen lenken sollen.
Zwanziger: «Keine Alibiübung»
Damit geriet natürlich die wichtigste Organisation im Fussball ins Blickfeld des Europarates: die Fifa, die mit 209 mehr Landesverbände umfasst als die UNO Staaten, in Zürich zu Hause ist, organisiert wie irgendein eidgenössischer Verein nach dem relativ simplen schweizerischen Vereinsrecht und geprägt seit einem gefühlten Jahrhundert vom umtriebigen Sepp Blatter (75). Vorgestern befasste sich die Kulturkommission der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in Paris an einem dreistündigen Hearing mit dem Reformprozess, den die Fifa vor 18 Monaten begann und der von gewissen Kreisen schon wieder zum Entgleisen gebracht werden soll.
Dabei tat sich vor allem der ehemalige Präsident des Deutschen Fussballbundes, Theo Zwanziger, hervor, der mit dem Beginn des Reformprozesses Einsitz nahm in der «Regierung» der Fifa, dem Exekutivkomitee, sowie der ehemalige französische Diplomat, Fifa-stellvertretender-Generalsekretärund jetzige Konsulent Jérôme Champagne und, auf dem Korrespondenzweg, der Basler Professor und Anti-Korruptionsexperte Mark Pieth, der in der Rundumerneuerung der Fifa eine wichtige Rolle ausübt.
Zwanziger machte glaubhaft, dass der Reformprozess der Fifa «keine Alibiveranstaltung» ist. Es gehe voran mit der Demokratisierung, der Gewaltenteilung, der Transparenz, der Entflechtung zwischen Regelungskompetenz und Business. Und die neu geschaffene, in eine disziplinarische, anklagende und eine urteilende Kammer unterteilte Justizabteilung arbeite bereits voll und könne von sich aus auch Licht in dunkle Seiten der Vergangenheit bringen. Zwar ist noch nicht alles in den Statuten so verankert, wie es sein sollte. Im Hinblick darauf kommt dem Fifa-Kongress im Sommer auf Mauritius grosse Bedeutung zu.
Champagne betonte, dass es um viel mehr gehe als um die Fifa, nämlich um die Frage, welche Art von Fussball wir im 21. Jahrhundert wollen. Eine, die von den Interessen der reichsten Clubs, den reichsten Ligen und Europa dominiert wird (ähnlich wie die NBA das globale Basketball dominiert), oder eine, die auf alle Rücksicht nimmt, ausgleicht und Spiele und Wettbewerbe ausrichtet, bei denen man nicht von vornherein weiss, dass der mit dem grösseren Budget auch gewinnt. Wer letzteren Fussball wolle, müsse eine demokratisch funktionierende Fifa haben, welche die Legitimität und damit die Kraft besitze, ausgleichend ins Business eingreifen zu können. Eine Fifa, die auch in Zukunft ein Drittel oder mehr der Einkünfte in die sportliche Entwicklung schwacher Regionen investiere und dem Trend entgegen- treten könne, dass die reichen Clubs und Spieler immer reicher und die grosse Mehrheit unter ihnen immer ärmer und chancenloser würden.
Dabei unterstrichen sowohl Zwanziger als auch Champagne, dass Blatter entgegen vielen Behauptungen nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung ist. «Ohne ihn und die Unterstützung, die er in Afrika und Asien geniesst, werden der Fussball und die Fifa nicht reformiert werden können», sagte Champagne. Hingegen gäbe es autokratische Herrschaften und oligarchische Kontinentalverbände, welche den Reformprozess behinderten und deswegen nicht aufhörten, Blatter und mit ihm den Reformprozess zu diskreditieren.
Zu diesen gehören, so Pieth im Schreiben an die Europaratskommission, auch «einige europäische Landesverbände», welche zugunsten der Privilegien reicher Clubs und Ligen die Reformbemühungen und damit eine Stärkung der Regelungsmacht der Fifa im Interesse aller behindern wollen. Pieths Wunsch, der Europarat möge diesen Bremsern entgegentreten und den Prozess der Fifa unterstützen, fiel bei den Parlamentariern aus den 47 Staaten Europas trotz aller Skepsis auf fruchtbaren Boden.
Andi Gross ist Politikwissenschafter, seit 1965 FCB-Fan, seit 1991 Nationalrat aus Zürich und seit 2008 Fraktionspräsident der Sozialdemokraten im Europarat.